Der Ortsname Ederen

Ederen, in der Volkssprache »Aehre« genannt

In sei­ner ver­di­enstvol­len »Erklär­ung der Orts­na­men des Krei­ses Jülich« (Rur-Blu­men 3.9.1921) schreibt Studi­en­rat Dr. MürkensMürkens, Dr.:

»Ede­ren. Hier ent­springt ein klei­ner Bach (seine Quelle heißt Wil­libr­ordusbrun­nen), der ober­halb Welz in den Merzbach fließt. Die­ser Bach muss früher, vielleicht in vordeut­scher Zeit, densel­ben Namen gehabt haben wie die Eder, der Nebenfluss der Fulda, der alt­hoch­deutsch Adrana oder Adarna heißt und soviel wie »Was­serfluss« bedeu­tet. Ede­ren war also zunächst ein Bach­name, Adarna, und bedeu­tete dann als Orts­name die Ansied­lung daran. Zu Grunde liegt der »Was­ser« bedeu­tende indogerma­ni­sche Stamm ad- (nasali­siert and-; bzw. id-, ind-, ud-, und-), sowie arna (rana), das eben­falls ein Wort für »Was­ser, Bach, Fluss« ist. Dass beide Teile des Bach­na­mens so ziem­lich den glei­chen Begriff des Was­sers aus­drü­c­ken, ist häufig der Fall. Es wird dies sei­nen Grund darin haben, dass inn­er­halb gewis­ser Zei­t­räume die leben­dige Bedeu­tung des ers­ten Grundwor­tes erblasste, und der für die dama­lige Zeit geläufige Was­ser- oder Bachbe­griff gewis­ser­maßen in tauto­logi­scher Weise zur Ver­deut­li­chung ange­hängt wurde.«

Wäh­rend man­che alte Orts­na­men unse­rer enge­ren Heimat mit klei­nen Abwei­chun­gen auch anderswo vor­kom­men (wie Geve­nich, Kör­ren­zig und andere mit der bekann­ten kel­tisch-römi­schen Endung -iacum), sucht Ede­ren, mund­art­lich »Äre«, wenigs­tens auf deut­schem und nieder­ländi­schem Boden sei­nes­glei­chen. - Es ist des­halb erfreu­lich, wenn einer der ange­se­hens­ten franzö­si­schen Orts­na­mensfor­scher auf einen im Jahre 1235 als Edera bezeichne­ten Ort in Frank­reich auf­merk­sam macht und die Ablei­tung auch die­ses Namens von einem Was­ser­lauf bestä­tigt. In der in Mün­chen erschei­nen­den Zeitschrift für Orts­na­mensfor­schung schreibt Albert DauzatDauzat, Albert in Band 11, Seite 250 (Nov. 1935) (über­setzt):

»Neue Bei­spiele von Atur, dem Gewäs­ser­na­men: Die Wur­zel Atur- ist als vor­römi­scher Bach­name gut bekannt. Zu Unrecht rech­net Gröh­lerGröh­ler (Franzö­si­sche Orts­na­men, I. 62, Hei­delberg 1913) ihn zu den ibe­ri­schen Namen; er über­sieht, dass die Wur­zel nicht nur den Namen des Flus­ses Adour gebil­det hat, sondern auch den des Arrour (alt: Atu­ravus), wel­cher das Morvan-Gebirge ent­wäs­sert, weit abseits der von den Iberern kolo­ni­sier­ten Gebie­ten. Ich erin­nere auch daran, dass ein Küs­tenflüs­sc­hen Atu­ria, heute Oria, in der nordspa­ni­schen Landschaft Guipozoa (bei St. Sebas­tian) fließt (nach Hol­ler, Altkel­ti­scher Sprachschatz I. 79). Ich habe fer­ner dar­gelegt (in »Les noms de lieux« Seite 3-4), dass die geo­graphi­sche Ver­brei­tung die­ses Namens den Schluss erlaubt, dass die Wur­zel vor­kel­tisch und vor­ibe­risch ist. Ich kann jetzt zwei neue Bei­spiele die­ses Gewäs­ser­na­mens für das nörd­li­che Gallien geben:

Der Bach Yeres oder Yerre fließt west­lich von Cha­teaudun in die Loir (120 Kilome­ter südwest­lich von Paris); sein Name ist transcribiert Edera, Era, im 11. Jahrhundert; diese For­men set­zen phone­tisch ein Atura (wenn nicht Atu­rus) vor­aus. Das Anfangs-E ist (im 14. Jahrhundert) lang­sam zu einem Diph­tong gewor­den (so wie bei dem Namen der Yevre, deren alter Name Avara war). Wer das bezweifeln sollte, hat einen wertvol­len Prüf­stein an den Haup­t­orts­na­men die­ses Bachge­bie­tes Arrou (im Jahre 1125 Arro), wel­cher sich ablei­tet von Atu­ravus. Bekannt­lich hat die galli­sche Endung -avus besonders häufig Sied­lungs­na­men gebil­det, bis­weilen mit vor­kel­ti­schen (vergl. Zeitschrift für Orts­na­mensfor­schung II. 217: Calavus - Chalo - Chalon), aber auch mit Gewäs­ser­na­men (Saravus die Saar bei Auso­nius); so erklärt sich, dass Atu­ravus je nach der Gegend eine Gelände- oder eine Gewäs­ser­bezeich­nung wer­den konnte.

Einen alten Namen des Baches Yerre(s) im Depar­te­ment Seine-et-Oise kenne ich nicht; er fließt in die Seine (etwa 15 Kilome­ter ober­halb von Paris). Aber die Ort­schaft Yer­res, die von dem Bach durch­flos­sen wird, und die von ihm den Namen hat, ist im Jahre 1235 Edera genannt, wie Coche­risCoche­ris gefun­den hat; und die­ser Name ist iden­tisch mit dem Namen der Yerre in der Gegend von Cha­teaudun; also ist auch das­selbe Urwort hier anzu­neh­men.«

Aus die­sen Mit­tei­lun­gen des franzö­si­schen Gelehr­ten dürfen wir schließen, dass auch unser Ede­ren, wel­ches anschei­nend zuerst im Jahre 1139 genannt ist (Chris­tian von Ede­renEde­ren, Chris­tian von im Gefolge des Erz­bischofs Anno von KölnKöln, Erz­bischof Anno von), densel­ben Ursprung hat wie die bei­den genann­ten Orts- und Bach­na­men in Frank­reich. Wie in Frank­reich aus Atura Edera und schließ­l­ich Yerre gewor­den ist, so ist auch für unser Ede­ren ein Atura vor­aus­zu­set­zen, und unsere ripua­risch-fränki­sche Mund­art hat in »Äre« eine ähn­li­che Abkürzung geschaffen wie die fränkisch-franzö­si­sche in Yerre.

Damit gehört der Bach­name Edere, der heute nicht mehr gebräuc­h­lich ist, zu den alle­räl­tes­ten Namen des Jüli­cher Lan­des, ähn­lich dem Fluss­na­men Inde. Wann an dem Quell die­ses Baches die danach ernannte Sied­lung Ede­ren ent­stan­den ist, wis­sen wir zwar nicht sicher, aber wir haben keine Ursa­che, zu bezweifeln, dass auch die­ser Name, wie man zu sagen pflegt, »so alt ist wie Jülich«, wie unser römisch-kel­ti­sches Juliacum; oder sogar noch älter, da ja der Sachken­ner Dauzat die Wur­zel nicht nur als vor­römisch, sogar als vor­kel­tisch und vor­ibe­risch bezeichnet. Die große römi­sche Heer­straße von Köln über die Zitadelle von Lüttich - Oppidum Aduatucorum nach Bavai ver­lief 8 Kilome­ter süd­lich von Ede­ren.

von: Rr. Mül­lerMül­ler, Rr., ver­öff­ent­licht in: Rur-Blu­men 35/1935