Die Wilden Juffern im Merzbachtal

«In den Benden». Gemälde von Heinz Franken.

Wenn in frühe­ren Jah­ren unsere Vor­fah­ren an den lan­gen Win­ter­a­ben­den, meist bei spär­li­chem Licht, bei­sam­men saßen, dann wur­den mit Vor­liebe teils schau­rige, teils besinn­li­che oder gar erheiternde Spuk- und Geister­ge­schich­ten erzählt. So hatte wohl jedes Dorf seine eigene Geschich­ten und Spukge­stal­ten.

In Ede­ren erzählte man sich unter ande­rem die Mär von den Krane-Juf­fern: Wenn man von Ede­ren nach Frei­al­den­hoven geht, so liegt an der lin­ken Seite des Weges in einer brei­ten Boden­senke der Krane-Kamp. Hier wohn­ten die »Krane-Juf­fern« oder die »Wilden Juf­fern«. Sie schweb­ten im Merzbach­tal umher, waren weiß geklei­det und trugen Son­nen­schirmchen. Wehe dem, der sich in den Krane-Kamp hin­ein wagte! Sein Schick­sal war besiegelt, denn man hielt ihn dort fest.

Aller­hand Mären berich­tete der Volks­mund über diese Wesen. Heimatfreund Heinz Fran­kenFran­ken, Heinz hat dar­über für uns folgen­des Gedicht geschrie­ben:

Die Wilden Juf­fern im Merzbach­tal

Was raschelt am Merzbach bei Tag und Nacht,
Was flat­tert im Tann und im Ginster­busch sacht,
Was hocket und locket im Wei­den­geflecht.
Die Wildjuf­fern sind es - ein uralt Geschlecht.

Sie schwe­ben geschmei­dig durch Wie­sen und Au’n,
In Hohl­wegen, Sandbergen kann man sie schau’n,
Sie huscheln auch über die Fel­der dahin,
Neckisch und spöt­tisch und schnell wie der Wind.

Kommt müde ein Wand’rer des Weges daher,
Angau­keln ihn Wildjuf­fern bald mehr und mehr,
Und suchen und fin­den manch necki­sche List
Für den, der nicht wach­sam, nur träume­risch ist.

Einst pflügte der Bauer mit heite­rem Sinn
Im Merzbach­tal Fur­che um Fur­che hin.
Und Krähen und Raben beglei­ten ihn -
So sah man ihn Stunde um Stunde dort zieh’n.

Die Wol­ken, sie zogen in lichtblauen Höh’n,
Den Schat­ten man konnte rasch wandern auch seh’n,
Und Ler­chen­tril­ler erscholl aus der Luft,
Auf Flu­ren und Saa­ten hing tau­fri­scher Duft.

Allein war der Pflü­ger im duf­ten­den Feld,
Es grünte und blühte die lenzfrohe Welt.
Und Schat­ten­spiel huschte in Fel­dern und Au’n,
Aus Wei­den und Busch­werk klang Windesgerau’n.

Vom Merzbach klang rie­seln­der Rei­sege­sang.
Ein Rehlein scharf äugend - durch Korbwei­den sprang.
Es zog durch die Ben­den gemäch­lich und schwer,
Ein Buntvolk von Käh­nen im grasen­den Meer.

Die Schat­ten, sie glit­ten im fröh­li­chen Lauf,
Sie husch­ten an Bäu­men und Hügeln hin­auf,
Sie hin­gen an Wol­ken, in lichtblauen Höh’n,
In mun­te­rem Gedränge - im Rei­sewind weh’n.

Der Bauer am blu­migen Grashange saß,
Im Schlee­dorn­ge­r­anke sein Frühbrot er aß,
Sein Rößlein gebun­den am Feld­rain stand,
Und froh und ver­gnügt seine Nah­rung dort fand.

Nichts kränkte die Muße, das Feld war ja leer,
Nur Schwärme von Mück­lein - die reiz­ten ihn sehr.
Und wäh­rend er diese mit Eifer ver­trieb,
Sein Rößlein am Feld­rain ohn’ Auf­sicht nun blieb.

Doch als er so ruhte, die Zeit rasch ver­ging,
Ver­trieb er die Mücken und man­che er fing.
Da hörte er wie­hern aus luf­tigen Höh’n,
Ger­ade, als er nach dem Pferde will seh’n.

Da hörte er rau­schen wie von einem Baum.
War’s Traum oder Wahrheit, er glaubte es kaum:
Dort eben ein zier­li­ches Bäumchen noch stand,
Daran er sein hung­riges Rößlein gar band.

Doch wäh­rend gemäch­lich beim Früh­s­tück er war,
Huscht neckisch herbei der Wildjuf­fern Schar.
Schnell wuchs nun das Bäumchen zum Baume heran,
Nahm mit in die Höhe das Rößlein alsdann.

Nun dro­ben im Ast­werk da hing auch der Pflug,
Riß kräf­tig und hef­tig am Pferd das ihn trug.
Dem Pferd war diese Lage ver­pöhnt,
Und des­halb sein Wie­hern von oben ertönt.

Es strahlte der Morgen im son­nigen Glanz,
Die Dörfer ver­deckte ein Blü­tenmeer ganz.
Und alles erfüllte der Frühling mit Lust,
Dem Bauer doch schnürte die Brust.

Er sah ja sein Rößlein im Frühlingswind weh’n,
Stand rat­los am Baume und mußte nun seh’n,
Wie dro­ben in son­ni­ger, luf­ti­ger Höh’,
Das Wie­hern erschallte in Schmer­zen und Weh’n.

Er starrte ver­gebens - denn Ret­tung gab’s kaum.
Wie kam sein Gespann so schnell auf dem Baum?
Die Zeit war ent­eilt, als still er dasaß
Und arg­los sein Pferd dort am Feld­raine fraß.

Doch wie er auch grüb­elte trost­los und sann,
Nach allem Gesche­hen - nach sei­nem Gespann,
Sie blieb ihm ver­schlos­sen, die Lösung, die Spur,
Und er dabei rat­los auf lenzfro­her Flur.

So lag er dann wei­ter in todmüdem Schlaf,
Bis plötz­lich ein Schlee­dorn­ge­r­anke ihn traf.
Und jäh er erwachte aus angstschwe­rem Traum,
Und hörte kein Wie­hern und sah kei­nen Baum.

Sein Pferd stand wie vor­dem, von Gräsern umhegt,
Und weit in der Runde war’s still, sich nichts regt.
Das Schat­ten­spiel huschte auch wei­ter durchs Land,
Ihn hatte beim Frühbrot der Schlaf übermannt.

Im Spiele der Wol­ken, in Schat­ten und Licht,
Gedachte der Bauer der Wildjuf­fern nicht.
Doch diese umkrei­sen ohn’ Rast, ohne Ruh’,
Den Bauer und drück­ten die Augen ihm zu.

So lag er am blu­migen Grashang im Traum,
Sein Rößlein ent­deckte er hoch am Baum.
Und alle Sorgen und alle Beschwer’,
Kam nur von den necki­schen Wildjuf­fern her.

Den Acker­stock griff er mit läc­helndem Blick,
Und kehrte geschwind zum Gespanne zurück.
Und wäh­rend er Fur­che um Fur­che nun brach,
Sann stets er dem selt­s­a­men Traumbild nach.

Die Wildjuf­fern trei­ben ganz heim­lich und sacht,
Die necki­schen Spiele bei Tag und bei Nacht.
Als Göt­ti­nen waren sie ehe­mals bekannt,
Doch wur­den sie spä­ter Wildjuf­fern genannt.

In ural­ten Tagen voll Glanz und voll Schein,
Schlug man ihre Namen in har­tes Gestein.
Sie stan­den als Zei­chen an Straßen und Land,
Matro­nen­stein wird jetzt ein sol­cher genannt.

Auf fern­er­hin sei man doch stets auf der Hut,
Der Wildjuf­fern necki­sches Spiel ja nie ruht.
Die Zei­ten sie kom­men, die Zei­ten ver­geh’n:
Die Wildjuf­fernschar bleibt am Merzbach besteh’n.

                                                 Von Heinz Fran­kenFran­ken, Heinz